Lernstände der Lernenden mit geeigneten Aufgabenformaten ermitteln
"To teach well, we have to find out what students already know. But students do not always learn what we teach. That’s why finding out what students do know is essential to good teaching" (Wiliam & Leahy, 2015, S. 72).
Problemanzeige: das Wissen der Lehrkräfte um die Kenntnisse der Lernenden
Um Schüler:innen effektiv beim Lernen unterstützen zu können, müssen sich Lehrkräfte darüber Gewissheit verschaffen, was die Lernenden wissen und was sie nicht wissen. Wiliam & Leahy (2015) charakterisieren dieses Unterfangen als herausfordernd, weil Lehrkräfte nicht in die Köpfe der Lernenden schauen können. Des Weiteren sind viele Schüler:innen zurückhaltend und geben ihre Gedanken nicht ohne Weiteres preis.
No-Hands-Up-Technik
Wiliam & Leahy (2015) plädieren deshalb dafür, die No-Hands-Up-Technik zum Grundprinzip des Unterrichts zu machen. Bei der No-Hands-Up-Technik ist Melden grundlegend nicht erlaubt, es sei denn, ein:e Lernende:r möchte eine Frage stellen ("No Hands up, Except to Ask a Question"). Die Lehrkräfte stellen bei der No-Hands-Up-Technik Fragen und rufen Lernende nach dem Zufallsprinzip auf. Um Lernende nach dem Zufallsprinzip aufrufen zu können, kann die Lehrperson eine Zufallsgenerator-App verwenden oder die Namen der Schüler auf Holzmundspatel schreiben. Mit der Zeit verbessert sich durch die No-Hands-Up-Technik die Ausgangslage des Lernens. Denn alle Lernenden müssen während des Unterrichts aufmerksam sein und mitdenken, da sie jederzeit aufgerufen werden können. Lehrkräfte erhalten überdies Rückmeldungen darüber, ob die Schüler:innen die Lerninhalte verstanden haben, und können den weiteren Unterricht danach ausrichten.
Wiliam (2020b) bezieht sich in einem Video zur Ermittlung von Lernständen darüber hinaus auf den emeritierten Pädagogik-Professor Neil Mercer (zuletzt an der Cambridge University). Mercer konnte in seiner Zeit an der Open University nachweisen, dass die IQ-Werte von Lernenden zunehmen, wenn sie regelmäßig an Unterrichtsgesprächen teilnehmen. Wiliam (2020b) folgert hieraus, dass die no opt out method dem Matthäus-Effekt entgegenwirkt. Der Leistungsunterschied zwischen häufig mitarbeitenden und selten mitarbeitenden Schüler:innen nimmt nicht weiter zu, indem alle Lernenden in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden.
Auch Diebig et al. (2021) berichten von der Wirksamkeit der No-Hands-Up-Technik, die im Rahmen studentischer Forschungsprojekte in zwei Drittel aller Fälle zu größeren Lernzuwächsen und gesteigerten Aufmerksamkeitsleistungen führte. Vor allem bei Schüler:innen stand die No-Hands-Up-Technik in Verbindung mit einer aufmerksameren Teilnahme am Unterricht.
Schließlich kann die No-Hands-Up-Technik zu einer gänzlich anderen Lernkultur führen. Erfolg wird nicht mehr länger an richtigen oder falschen Antworten gemessen, sondern an Fehlern, dem Besprechen von Antwortmöglichkeiten und den Lernerfolgen (Solution Tree, 2018).
No-Opt-Out-Technik
So können Lehrkräfte beispielsweise anderen Lernenden die gleiche Frage stellen, Antworten sammeln, um schließlich zu der/dem ursprünglichen Lernenden zurückzukehren, die/der aus den Antworten wählen darf und ihre/seine Antwort begründen soll. Wissen Lernende keine Antwort auf eine Frage, können Lehrkräfte auch wie bei einer Multiple-Choice-Aufgabe mehrere Antwortmöglichkeiten vorgeben, damit die/der Lernende die richtige Antwort aussuchen oder die falschen Antworten aussondern kann. Des Weiteren können Lehrkräfte eine:n Lernende:n mit Antwortschwierigkeiten fragen, ob sie/er weitere Informationen benötigt, und ihnen einen Publikumsjoker oder Telefonjoker in Aussicht stellen. Schließlich können Lehrkräfte auch die Basketball-Variante einsetzen, bei der ein:e Lernende:r eine Antwort gibt, ein:e weitere:r Lernende:r die Antwort bewertet und ein:e dritte:r Lernende:r zu den Beiträgen der Mitschüler:innen ein Statement abgibt (Wiliam & Leahy, 2015).
Fragen und Aussagen
Sowohl Wiliam & Leahy (2015) als auch Jones (2021) empfehlen Lehrkräften, die Fragen im Voraus zu planen, sie anschließend im Unterricht zu stellen und mindestens 3 Sekunden auf eine Antwort zu warten. Wiliam & Leahy (2015) nennen die Wartezeit von 3 Sekunden "Time for Thinking". Tobin (1987 nach Solution Tree, 2018) konnte überdies zeigen, dass eine 3-sekündige Wartezeit mit messbaren Lernzuwächsen einhergeht, die Vorteile jedoch bei längeren Wartezeiten verloren gehen. Neben der Wartezeit spielt auch die "elaboration time" eine wichtige Rolle, während der Lehrkräfte Schüler:innen-Antworten beurteilen und kommentieren. Idealerweise halten Lehrkräfte ihre Kommentare zurück, um Lernenden die Möglichkeit zum Ergänzen sowie Elaborieren zu geben (Solution Tree, 2018).
Bei den Fragen kommt es weniger darauf an, ob es sich um offene oder geschlossene Frage handelt. Viel wichtiger ist zum einen, dass Fragen die Schüler:innen zum Denken veranlassen und Lehrkräfte die Fragen gemeinsam erarbeiten (Wiliam, 2020b). Zum anderen soll mit Fragen ein diagnostischer Mehrwert einhergehen, indem sie Lehrkräften Rückschlüsse auf die Gedanken der Schüler:innen ermöglichen, um gegebenenfalls den weiteren Unterricht danach ausrichten zu können. Deshalb sollen Fragen so formuliert sein, dass richtige Antworten nicht zufällig gegeben werden können (Solution Tree, 2018).
Jones (2021) plädiert ihrerseits für einen regelmäßigen Einsatz von W-Fragen und Multiple-Choice-Aufgaben, um Lerninhalte nicht nur zu Beginn von Unterrichtsstunden wiederholen zu können. W-Fragen dienen darüber hinaus nicht nur der Wiederholung bereits behandelter Themen, sondern eignen sich ebenso für Verständnis-Checks oder die Elaboration von Lerninhalten.
Lehrkräfte können nach Wiliam & Leahy (2015) schließlich auch gänzlich auf Fragen verzichten und sich auf das Formulieren von Aussagen verlegen. Geschickt formulierte Aussagen können Lernende zum Denken anregen und Diskussionen anbahnen.
All-Student Response Systems
- grüne und rote Karten: Die Schüler:innen erhalten grüne sowie rote Karten und die Lehrkraft stellt Fragen, die entweder mit richtig (grün) oder falsch (rot) beantwortet werden können.
- ABCD-Ecken: Die Lehrkraft überlegt sich vor dem Unterricht Fragen sowie verschiedene Antwortmöglichkeiten und jede:r Schüler:in stellt sich seiner Antwort gemäß in eine der vier Ecken.
- finger voting: Die Lehrkraft überlegt sich vor dem Unterricht Fragen sowie verschiedene Antwortmöglichkeiten und jede:r Schüler:in zeigt mit den Fingern, für welche Antwort sie/er sich entscheidet. Der Zeigefinger steht für Antwort A, der Mittelfinger für Antwort B etc.
- Karten mit den Buchstaben A, B, C und D: Die Lehrkraft überlegt sich vor dem Unterricht Fragen sowie verschiedene Antwortmöglichkeiten und jede:r Schüler:in antwortet mithilfe der Karten.
- Klarsichthüllen mit unbeschriebenen DIN-A4-Blättern: Die Lehrkraft überlegt sich vor dem Unterricht Fragen. Hierbei kann es sich sowohl um Fragen mit verschiedenen Antwortmöglichkeiten handeln als auch um Fragen, die mit wenigen Worten zu beantworten sind. Die Schüler:innen beantworten die Fragen, indem sie mit einem Folienstift auf die Klarsichthüllen schreiben.
- kleine Whiteboards: Das Verwenden von kleinen Whiteboards ist die De-luxe-Variante der oben beschriebenen Klarsichthüllen-Technik.
- Exit-Tickets: Die Lehrkraft überlegt sich vor dem Unterricht Fragen, die die Haupt-Aspekte der Unterrichtsstunde umreißen. Jede:r Schüler:in soll vor dem Verlassen des Klassenzimmers oder Fachraums die Fragen auf dem Exit-Ticket beantworten. Dies kann anonym geschehen, wenn es der Lehrkraft um das Feststellen des Lernstands geht. Möchte die Lehrkraft die Erkenntnisse aus den Exit-Tickets zur Individualisierung des Unterrichts verwenden, fordert sie die Schüler:innen zur Namensangabe auf.
Lernen reflektieren
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